Bad Nenndorf – einst und jetzt

In seiner Zeit als Redakteur vom Hannoverschen Anzeiger, war Hermann Löns viel in unserem Calenberger Land untewegs. Er recherchierte, erlebte und schrieb alle Geschichten selbst.
Die Schilderungen vom Deister, über Land und Leute, seine Naturschilderungen, veröffentlichte er damals in seinem Feuilleton unter dem Pseudonym „Fritz von der Leine“ im Hannoverschen Tageblatt.

Aus Hannoversches Tageblatt vom 21.07.1907 ungekürzter Orginaltext von Hermann Löns

Bad Nenndorf – einst und jetzt

Am Nordwestende des Deisters, auf dem äußersten, von der Hauptmasse des Gebirges abgesprenkten Hügel, dem Calenberge, liegt das königliche Bad Nenndorf.

Seine Schwefelquellen waren der Landbevölkerung jener Gegend seit Urzeiten bekannt und mögen ihnen wohl schon lange gegen allerlei Beschwerden und Gebrechen Hilfe geleistet haben, ehe die zünftige Heilkunde von ihnen Kenntnis bekam.

Der erste gelehrte und Schriftsteller, der die Quellen erwähnt, war der meißnische Arzt und Naturforscher Georgius Agricola. Er gab im Jahr 1546 zu Basel eine Quellenkunde heraus , betitelt: „De ortu & causus subterraneorum, De natura eorum quae effuunt ex terra“, in dem er die am Fuße des Deisters entspringende bituminöse Quelle kurz erwähnt.

Über 200 Jahre lang wird die Quelle dann im Drucke nicht mehr erwähnt und erst 1763 beschreibt Ernstig in den „Rintelischen Anzeigen“ die Mineralwasser von Großen Entdorff, wie das Dorf Nenndorf damals hieß. Die Stelle auf der die Quelle entsprang, nannte die Landbevölkerung wegen des starken Schwefelwasserstoffgeruch „auf dem Teufelsdrecke“ und sie brauchte das Wasser hauptsächlich gegen solche Leiden , die durch Zauberei enstanden sein sollten, so wie gegen Wurmkrankheiten.

Von dieser Zeit ab mehren sich die druckschriftlichen Nachrichten über die Quelle. Der berühmte Berliner Arzt Ernst Ludwig Heim, als „der alte Heim“ bekannt, empfahl die Quelle als einen „tresor inconnu“ den Medizinern der Universität Rinteln. 1776 stellte die medizinische Fakultät der Universität eine Untersuchung der Quellen zu Großen- Entdorff und Rodenberg an und berichtete in einem lobenden Gutachten an den Landsherren, den Landrafen Friederich II. von Hessen, der Leibmedikus des Königs Georg II. von Hannover, Dr. Johann Georg Zimmermann, verordnete das Wasser damals schon vielfach, da es oft besser half, als das von Meinberge und Pyrmont; 1777 wurden auf Befehl des Landgrafen die beiden Quellen durch Bergleute aus Obernkirchen aufgeräumt und mit einem Pumpwerke und einer Einfassung versehen; der königliche großbritannische Botanist Friederich Erhart, der Entdecker der Salzquellen bei Davenstedt und der Schwefelquelle bei Limmer äußert sich 1784 im „Hannoverschen Magazin “ mit Befremden darüber, daß die Quellen bei Großen- Nenndorfe nicht genug gewürdigt wurden.

1785 kaufte Landgraf Wilhelm IX. das Quellgrundstück. 1787 wurde auf seinen Befehl ein hölzernes Badehaus mit sieben Kammern errichtet und ein Bauernhaus angekauft und als Unterkunfts- und Traiteurhaus eingerichtet. 1789 versuchte der Landgraf das Bad auf Aktien zu gründen, doch schlug der Versuch fehl und der Landgraf unternahm den Aussbau auf eigene Gefahr. 1789 wurde das große Gasthaus mit 40 Zimmern eingerichtet, der Besuch hob sich stark und in Rodenberg waren alle freien Wohnräume mit Badegästen besetzt. Der Ausbau des Bades wurde mit Eifer betrieben- es wurden zwei große Badehäuser erbaut, Schwefelduschen und ein Dampfbad errichtet, die Galerie mit sechsundzwandzig Logierzimmern entstand, ferner Verkaufsstände, Arkaden, ein Saal, der Kurpark wurde begonnen. 1790 fand im Beisein des Landgrafen und seines Gefolges das Richtfest statt, das Bad wurde von dem Dorfe abgetrennt und erhielt den Namen Nenndorf. In den nächsten Jahren kamen der kleine Brunnentempel, das große Traiteurhaus, das kleine Badehaus und das kleine Logierhaus hinzu, auch wurden die großen Badehäuser durch einen Mittelbau vereinigt. Alle Bauwerke bestanden aus Holz. Die gesamten Gründungskosten betrugen dreihunderttausend Taler.

Das Bad kam sofort in Schwung; 1791 waren über fünfhundert Kurgäste amwesend, die 6257 Bäder nahmen, die Räume reichten nicht mehr aus; viele Gäste mußtenin Rodenberg wohnen. An hohen Herrschaften gebrauchten die Kur der Landgraf, der Erbprinz, die Herzogin von Mecklenburg-Schwerin und der dänische Feldmarschall Prinz Karl von Hessen. Dreimal die Woche wurde in der neuen Galerie Komödie gespielt. Auch Militär lag dort zur Saison, nämlichein Kommando der Rintelschen Besatzung. 1793 waren vierzehn fürstliche Personen als Kurgäste anwesend und Fremde kamen, wie eine Nachricht besagte, sogar aus Amerika. 1800 waren schon über dreihundert Zimmer und 30 Badezellen vorhanden.

Das Jahr 1806 brachte für das Bad einen großen Unschwung. Nach der Schlacht bei Jena ließ Bonaparte Kassel besetzen. Der Kurfürst entwich nach Dänemark. Am 15. November kamen 10.000 Franzosen durch Nenndorf und nahmen in der Gegend Unterstand. Es wurde viel geplündert. Im folgenden Jahre wurde das Königreich Westfalen mit Jeromchen verfügt. Da dieser Scheinkönig infolge seines lustigen Lebens an allerlei Leibesgebrechen litt, wurden in Nenndorf viele Veränderungen vorgenommen, die neuentdeckte Gewölbequelle wurde gefaßt, auch ein Bassin für den König gebaut. 1808 war Jerome im August dort als Kurgast, er schrieb an seinen Bruder Bonaparte: „M’s santesameliore tous les jours.“ Jerome baute das Schlammbad und ein ein Gasbad. 1818 hat die Königsspielerei ein Ende.

Am 28. November war in Groß- Nenndorf Festgottesdienst wegen der Wiedereinsetzung des Kurfürsten, der samt seinem Gelde wieder aus Dänemark gekommen war, als die Luft rein war. 1814 weilte der Kurfürst als Kurgast in Nenndorf und ließ jede Erinnerung an Hieronymus vertilgen und dessen Badebassin zerstören. Von nun an entwickelte sich Nenndorf langsam aber stetig weiter, hatte alljährlich guten Besuch. 1842 wurde die Sole von Rodenberg nach Nenndorf geleitet. 1848 errichtete ein sogenannter Dr. Biermann, ehemals Croupier des Spielhöllendirektors Blank, in Nenndorf eine Spielbank.

Es begann nun ein anderes Leben. Pariser Dirnen und internationales Raubgesindel stellten sich ein. Die anständigen Badegäste blieben fort. Allerlei Kavaliere, die ihre letzten Goldstücke der Bank lassen mußten, hingen sich im Kurpark auf. In den Gasthäusern floß der Sekt in Strömen. Die Zuchtlosigkeit wurde so groß, daß von 1849 bis 1852 die Spielbank geschlossen wurde. 1865 wurde die Räuberhöhle entgültig beseitigt. 1866 wurde Nenndorf preußisch und die Bevölkerung atmete auf, den das angestammte Herrscherhaus hatte es verstanden, sich in jeder Weise unbeliebt zu machen. Unter preußischer Nüchternheit und einer Sparsamkeit, die zeitweise zu weit ging, wurde von da ab das Bad verwaltet. Erst seitdem Ernst von Podbielski Landwirtschaftsminister wurde, zeigte sich der Fiskus freigibieger in der Bewilligung von Mittel für diesen wichtigen Kurort, dessen Schwefelquelle die stärkste in ganz Europa ist. Jetzt, wo Nenndorf durch zwei Eisenbahnen zu erreichen ist, wo dei Bade- und Wohnungseinrichtungen den Anforderungen, die man an sie stellen muß, vollkommen entsprechen, wo den bestehenden Anlagen eine gebührende Pflege zuteil wird und jedes Jahr eine Verbesserung und Erweiterung der Anlagen bringt, nimmt es eine hervorragende Stellung unter den ersten Heilbäder Deutschlands ein; die Zahl seiner Badegäste beträgt über 4000 und nimmt ständig zu.

Wie das Bad sich vergrößert, sieht man an den neu entstandenen Vierteln am Bahnhofe Nenndorf und nach Klein- Nenndorf zu, besonders aber an den gewaltigen Neubauten der letzten Jahre. Auch als Ausflugsort ist das sehr beliebt . Bei seiner sonnigen Lage zwischen dem Deister, den Bückebergen, dem Süntel und dem Steinhuder Meer eignet es sich vörzüglich als Anfangs- oder Ausgangspunkt für größere und kleinere Fahrten und ein Besuch des Bades ist wegen seiner schönen Anlagen und wegen seiner allerliebsten hügelreichen Umgebung allein schon lohnend. Ob man dei Bahn von Weetzen oder Haste benutzt, beide Strecken führen durch viel buntes, abwechslungsreiches Gelände; und ob man sich auf die Ebenen und die nächste Umgebung beschränkt, den Tag unter den alten Linden der Esplanade und im Kurgarten verlebt oder das umliegende Hügel- und Bergland durchstreift, man wird stets mit einem Gefühl, seine Zeit gut verbracht zu haben, scheiden.

Was Nenndorf so anziehend macht, ist die Einfachheit und Ungesuchtheit, die überall zutage tritt. Nenndorf ist kein Vergnügungsbad und will es nicht sein, es ist ein Heilbad ersten Ranges und so hat der Luxus und das Gepränge hier keine Stätte. Das kommt sowohl in den Baulichkeiten zum Ausdruck, deren neuere zwar vornehm und schön sind, aber sich von Prunk und Üppichkeit freihalten und ebenso in den Anlagen, die freundlich, stimmungsvoll, gemütlich und nett gehalten sind, aber jene übertriebene Geziertheit vermeiden, die sich nur mit dem Kleidergepränge und der Geldprotzerei von Luxusbädern vertragen.

Weiterer Text folgt in kürze

Oben